2006-01:Revision von Projektwerkstättlern verworfen, Oberlandesgericht bestätigt politische Justiz

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Revision von Projektwerkstättlern verworfen, Oberlandesgericht bestätigt politische Justiz

Prowe Der ,große' politische Prozess gegen zwei Aktive aus der Projektwerkstatt ist an das Ende des Rechtsweges gelangt. Das Oberlandesgericht Frankfurt verwarf mit Beschluss vom 16. März die Revision der Angeklagten. Damit ist das Urteil des Landgerichts Giessen rechtskräftig:

Dieses hatte die beiden Aktivisten am 3. Mai 2005 nach einem umfangreichen Prozess, der allein über 15 weitere Strafverfahren wegen Falschaussagen, Körperverletzung, Beleidigungen nach sich zog, zu 8 Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung bzw. zu 50 Tagessätzen verurteilt. Alle Anklagepunkte bezogen sich auf politische Aktionen - vom Vorwurf veränderter Wahlplakate bis hin zu Widerstand gegen die Staatsgewalt.

"Die Fehler im Berufungsverfahren waren grotesk - wir müssen aber damit rechnen, dass auch das Oberlandesgericht auf politischen Druck handelt" hatte Jörg Bergstedt, einer der beiden Angeklagten, bei der Einreichung der Revision spekuliert. Diese Einschätzung hat sich mit dem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) bewahrheitet. Lange hat das OLG auf sich warten lassen; die Verfassung des zugestellten Beschlusses kann allerdings nicht Schwerpunkt der Tätigkeit des 2. Strafsenats gewesen sein. Die eigentlichen Ausführungen zur Revision umfassen vier knappe Absätze, aus denen keine substantielle Begründung zu entnehmen ist - raumfüllend dagegen werden die Vorwürfe aus den Urteilen wiederholt.

Die eigene Befangenheit lässt die Kammer des Oberlandesgericht in der Begründung zur Ablehnung der von den Angeklagten vehement geforderten Beiordnung durchblicken (Fehler im Original): "Eine abweichende Beurteilung kann sich auch nicht daraus ergeben, daß die Angeklagten in extensiver Wahrnehmung ihrer prozessualer Rechte , insbesondere der Erhebung zahlreicher formeller Rügen, eine vermeintlich schwierige Sach- und Rechtslage zu schaffen versuchen." Suggeriert wird, dass der zwölftägige Prozess inklusive gehäufter Falschaussagen oder vorbelasteter Schöffen nicht aus sich heraus komplex gewesen ist. Zudem wird die Selbstverständlichkeit, sich vor Gericht entsprechend zu verteidigen, in Frage gestellt bzw. gegen die Angeklagten gewendet. Hintergrund des Verfahrens

In den letzten zweieinhalb Jahren wurde Giessen zeitweise von einer bunten Mischung offensiver, politischer Aktionen "überrollt" - im Mittelpunkt stand der Widerstand gegen die autoritäre Zuspitzung von Politik. Ein wichtiger Aufhänger war die Ende 2002 verabschiedete "Gefahrenabwehrverordnung" der Stadt Giessen, aber auch verschiedene Wahlen oder die rigide Abschiebepolitik. Die zahlreichen Interventionen - vom Straßentheater, Jubeldemos bis hin zu fingierten Behördenschreiben - sogenannte "Fakes" - sorgten bei den Stadtoberen wie auch der Polizei für wachsenden Unmut, die dem überraschend hilflos gegenüber standen. Eine wild um sich schlagende Repression, eine unüberschaubare Anzahl eingeleiteter Ermittlungsverfahren und erfundene Tatvorwürfe zwecks Kriminalisierung der Handelnden waren die Antworten. Der bekannteste Name unter den Scharfmachern gegen die Aktiven aus dem Umfeld der Projektwerksatt dürfte Volker Bouffier sein - hessischer Innenminister und ehemaliger Kreisvorsitzender der CDU Giessen.

Konsequenzen

"Mit dem umfangreichen Verfahren und dem harten Urteil gegen uns sollen alle eingeschüchtert werden, die sich den sich ausbreitenden "law and order"-Konzepten, der deutschen Abschiebepolitik und anderen Formen autoritärer Politik widersetzen", erklärt Patrick Neuhaus die Zielsetzung des Prozess'. Zur Rolle des Oberlandesgerichtes führt er weiter aus: "Das Oberlandesgericht ist dem politischen Druck gefolgt und hat das eindeutig politische Urteil bestätigt und nochmals gegen jeden Zweifel abgesichert." Auf dem Gang durch die Instanzen bleibt nun nur noch die Verfassungsbeschwerde. Für den Widerstand gegen Justiz und die autoritären Verhältnisse liefere das rechtskräftige Urteil keinen neuen Grund, höchstens einen weiteren konkreten Anlass. "Das Wegsperren, das zielgerichtete Zerstören sozialer Existenzen, ist keine auf Polit-AktivistInnen beschränkte Ausnahme, sondern eine Normalität, welche jeden Tag Menschen trifft, die mit der herrschenden Ordnung und ihrer Eigentumslogik in Konflikt geraten." Daher sei es unabhängig von ihrem konkreten Fall wichtig, Widerstand gegen das Justiz- und Knastsystem zu organisieren.

Weitere Informationen

Updates

Inzwischen ist viel passiert. Mit einem massiven Polizeieinsatz ohne rechtliche Grundlage wurde der zu 8 Monaten verurteilte Aktivist schon Tage vor dem eigentlichen Hafttermin "aus dem Verkehr gezogen". Peinlich für Polizei und Justiz: das Bundesverfassungsgericht gab einem Eilantrag des Betroffenen statt und verfügte dessen Freilassung.

Das oberste Gericht hat sich erbeten, die Verurteilung erst nach höchstrichterlicher Prüfung, die erfahrungsgemäß noch viele Monate in Anspruch nehmen kann, zu vollstrecken. Auch den "Unterbindungsgewahrsam", mit dem der Aktivist rechtswidrig - in Giessen aber nichts besonderes, da sich die Repressionsapparate einig sind - vorzeitig eingesperrt werden sollte, musste das örtliche Gericht nach weiteren juristischen Auseinandersetzungen beenden.

Am Tag der Bekanntgabe der höchstrichterlichen Verfügung eröffnete die Giessener Justiz das nächste Verfahren gegen die Projektwerkstatt. Offensichtlich sollen die AktivistInnen unbedingt aus dem Verkehr gezogen werden.