2005-03:Subversiv bei Saturn

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Subversiv bei Saturn

bnä Es war einmal ein kleines reiches Land in einer großen armen Welt. Die BewohnerInnen bemerkten das sogar manchmal, was zwischen der ganzen Werbereklame, welche die Leute zum Kaufen von überflüssigen Produkten drängelte, ganz schön schwierig war. Überall Ablenkung. Doch manchmal wurde das Schreien der Armut zu laut und einige ertrugen das nicht länger. Denn diese reichen Menschen hatten außer ihrem Privileg, in eine reiche und kaputte Welt geboren zu sein auch noch ihr humanistisches Gedankengut, ihr Mitgefühl, das sich rasch zu einem Lauffeuer gegen Ausbeutung und gegen die Zustände außerhalb der militärisch gesicherten Grenzen der Wohlstandsfestung ausbreitete. Die Menschen innerhalb der Mauern aus roher Gewalt und feinsinniger Manipulation machten sich gegenseitig Angst vor den hungernden Massen vor ihrer Haustür und versicherten sich immer wieder gegenseitig, dass diese Ungerechtigkeit eben natürlich, wahlweise auch gottgewollt sei? In jedem Fall von "uns" nicht veränderbar. "Die da oben" verbrechen in "unserem" Namen, das ist doch bereits jedem klar. Was kann "unsereins" schon dagegen machen?

Doch einzelne offene Geister ertrugen diese Zustände nicht mehr, sie wollten vor Ort andere aufrütteln und dem System schaden, das sie in ungewollte Abhängigkeiten zwingt. Sie wollen nicht flüchten. Ins Ausland oder in andere Realitäten, sich selbst belügen, sich anpassen, ducken und nach unten treten, um den Frust loszuwerden, sich "ins Private" zurückziehen oder in rauschhaften Ablenkungen ergeben. Sie wollen Arbeit mit Freude und Leben vollbringen, sie wollen das Wort "Arbeit" aus ihrem Wörterbuch streichen und durch "zusammen leben" ersetzen. Sie wollen ein gerechtes und gutes Leben für alle. Und zwar umsonst.

Jeden Monat suchten sie sich ein anderes Ziel für ihre kreativen Anschläge. Das können öffentliche Einrichtungen sein, aber auch privatisierte Räume wie Einkaufzentren und Bahnhöfe. Viele Leute kamen zu solchen Aktionen zusammen und immer wieder versuchten sie, die vorherige Aktion in den Schatten zu stellen. Hunderte strömten herbei, trieben mit ihren Aktionen Schweißperlen auf die Stirn der ManagerInnen. Den ManagerInnen wurde immer wieder ihre Ohnmacht bewusst ebenso wie die Einkommenseinbußen in Miliardenhöhe.

Denn die Leute agierten so dezentral, spontan und im Untergrund, dass niemand voraussagen könnte, was ihre Taktik und Strategie sein würde. Ihre Opfer gaben sie schon lange vorher öffentlich bekannt. Meist wurde auch schon lange vorher das gesamte Stadtgebiet von staatlicher Oberhand zu einem Ausnahmezustand erklärt. Polizei an jeder Ecke, BGS kontrollierte Ausweise und filzte Omas Einkaufstaschen. Die BewohnerInnen protestierten gegen diese polizeiliche Besatzung ihrer Stadt und fingen an, die Regierung, die diese Polizeimacht bereitstellte, zu hassen.

Jeden Monat. Jedes Mal in einer anderen Stadt.

Doch sie waren zu viele, um sie zu kontrollieren. Und sie wurden mehr. Zu viele ohne erkennbare Struktur und Koordination. Sie agierten einfach von sich heraus autonom und chaotisch. Die Polizei war machtlos und die Bevölkerung kicherte sich ins Fäustchen. Denn so langsam setzte sich die Sympathie für die unerschrockenen AktivistInnen durch, und wenn es nicht Sympathie war, dann zumindest etwas Respekt. Jedenfalls kam die Botschaft rüber. Sie kämpfen für eine gerechtere Welt. Wollen den Reichen nehmen und den Armen geben. Und da sich auch in den "reichen" Ländern inzwischen die Mehrheit zu den ärmeren Schichten zählt, fällt dieser Protest auf fruchtbaren Boden. Sie kommen aus ihren Löchern, die "Aussätzigen", um zu holen, was allen gehört.

Sie wollen lautstark auf die Ungerechtigkeit aufmerksam machen und die schamlose Zerstörung und Ausbeutung von Lebewesen und Umwelt in die Welt hinausschreien. Sie wollen gleichzeitig den Unternehmen schaden, die dies für ihren Profit bewusst einkalkulieren. Dazu hatten sie sich viele verschiedene Mittel ausgeheckt. Sie wollen die Personen, die das System am Laufen halten, von der Möglichkeit für ein gerechteres und besseres Leben überzeugen, sie wollen die Rädchen im System nicht zerstören, sondern einschmelzen.

Jede Aktion verlief ohne körperliche Gewalt gegen Menschen, sofern es nicht Notwehr war und ohne gewolltes Blutvergießen. Wenn man von den Gewaltausbrüchen der blutgeifernden PolizistInnenschar absieht, die hier und dort auch schon mal einen erschossen hatten oder zu Tode gefoltert. Doch das wurde verantwortlicherseits üblicherweise als "Ausrutscher" gedeckt, der quasi immer dazu gehört, wo Menschen ihre Überlegenheit legitimieren und ausnutzen. Die Unterstützung durch die Bevölkerung zeigte sich in ganz unterschiedlichen Formen. Die einen sorgten für Schlafplätze und Versorgung für die vielen Aktiven und die anderen sabotierten gezielt die Polizei vor Ort.

Das nächste Opfer war der Eletronik-Discounter SATURN. Der ahnungslose Verkäufer ahnte zunächst nichts, als die ersten KundInnen anfingen, über die Herkunft und Produktionsbedingungen der Waren bescheid wissen zu wollen. Doch als er dann schon das fünfte Mal in einer Stunde die Geschäftsführerin anrücken lassen musste, weil sie verschiedenste Leute zur Rede stellen wollten und an allen anderen Kassen anscheinend dasselbe Chaos herrschte, stellte sich auch Verkäufer Klaus V. die Frage "Was zum Himmel ist denn in die Leute gefahren?" und schon ging es los. Hinter der jungen Frau, die sich lautstark über die Prozessor- und Handyproduktion ausließ und fragte, welches Handy sie denn nun benützen könne, "ob man sowas nicht auch lebensverträglich herstellen könne?!", riefen die ersten ärgerlich, wann es denn weiterginge und wie ein Feuerwerk brachen verschiedene Diskussionen über Konsum, Ausbeutung, Höflichkeit und umsonst leben los. Am Eingang wurden die Polizisten von gleichzeitig auf sie stürmenden "KundInnen" mit Handschellen (und als diese alle waren mit Kabelbindern) unbeweglich gemacht, angemalt und rosa eingepackt in der Ecke abgestellt. Sie durften nun zuschauen.

Andere Leute beschäftigten gutgelaunt die anstürmenden Sicherheitsleute und PolizistInnen, in Scharen strömten Menschen durch die Regalreihen und versahen alle Produkte mit informativen Aufklebern. Wütende stürmten die Büroräume. Hier wurden Schlösser verklebt, dort besserwisserisches Papier zerrissen, bunte Farbe bis in alle Ecken verspritzt und Scheiben eingeschmissen. Nicht zuletzt musste die Alarmanlage dran glauben. Jeder Mensch im Laden gehörte dazu. Ob er es vorher wusste oder nicht. Der Schaden muss immens gewesen sein. Auch das Geld aus den Kassen wurde geplündert und viele Geräte kamen abhanden. Jemand konnte es wohl gut gebrauchen. Draußen wurden Transparente befestigt und ein Meer von Farbbomben übergoss die Fassade des Hauses und bespritzte die Polizeimassen davor. Die Polizei wurde eingekesselt und entwaffnet. Sie wurden um ihre Ausrüstung erleichtert und stattdessen liebevoll bunt geschmückt, mit Tee und Gebäck versorgt. Sie hatten keine Chance. Sie waren auch nur eine Figur im Spiel. Und zwar die am besten berechenbarste.

Die Aktionen finden plötzlich ihr Ende, wenn keiner mehr Lust hat, zu diskutieren, zu plündern oder zu zerstören. Der Laden bleibt verwüstet zurück, die letzten Gefesselten werden frei gelassen - wenn sie nicht schon vorher gehen wollten. Überall im Geschäft stehen aus Waren gebaute Kunstwerke, Bilder sowie Schriftzüge zieren Tische und Wände. Dann kommt die sensationlüsternde Presse und ihr entgeht nichts. Es wird ausgeschlafen. Bis zum nächsten Mal.